Die Querdenkerin Vivian Dittmar engagiert sich für eine ganzheitliche Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein. Warum Unternehmen in Zukunft vermehrt auf emotionale Kompetenz setzen sollten, erklärt sie im Gespräch mit Rolf Butz.

Sie plädieren dafür, mehr Gefühle in die Arbeitswelt zu integrieren. Wieso?

Aus der Hirnforschung wissen wir inzwischen, dass der rein rationale Mensch ‒ bei normaler Intelligenz im Sinne des IQ ‒ nicht lebensfähig, nicht handlungsfähig, nicht entscheidungsfähig ist.

Trotzdem wird in vielen Unternehmen so getan, als würden Emotionen keine Rolle spielen.

Gerade dort dominieren sie den Arbeitsalltag ‒ eben weil sie ausgeblendet werden. Da wird gerne pseudorational argumentiert, dabei liegt das Problem ganz woanders. Das führt zu unlösbaren Konflikten, kostet sehr viel Zeit, Nerven ‒ und Geld.

In der neuen Arbeitswelt gibt es immer weniger Hierarchien, ehemalige Chefs und Mitarbeitende begegnen sich auf Augenhöhe. Bekommen damit Gefühle und Emotionen einen neuen Stellenwert?

Auf jeden Fall! Emotionale Kompetenz spielt überall dort eine besonders grosse Rolle, wo es um Kooperation geht, was in modernen Unternehmen ja der Fall ist. Wann immer Menschen gefordert sind, unterschiedliche Kompetenzen und damit auch Sichtweisen zusammenzufügen, kommen früher oder später Gefühle und Emotionen ins Spiel.

Was bedeutet emotionale Kompetenz?

Die Fähigkeit, mit Spannungen umzugehen. Spannungen sind per se weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, was wir daraus machen. Wir können sie als kreatives Potenzial nutzen, was die kollektive Intelligenz im Team fördert. Gelingt dies nicht, führen Spannungen jedoch zu einer Blockade in der Zusammenarbeit, und die Gruppenintelligenz ist niedriger als die jedes einzelnen Teammitglieds ‒ eine traurige Bilanz.

Teamarbeit wird immer wichtiger. Dort treffen unterschiedliche Temperamente und Charaktere aufeinander ‒ wie nutzt man diese Diversität?

Es gibt keine Pauschalrezepte, denn Teams gleichen lebendigen Systemen, deren zentrales Merkmal die Vielfalt ist. Wichtig ist eine klare Ausrichtung auf einen gemeinsamen Auftrag, dem sich jedes Teammitglied verbunden fühlt. Ausserdem hilft eine klare Rollenklärung, auch was Führungsaufgaben betrifft. Denn obwohl flache Hierarchien eine völlig andere Form von Führung benötigen, fehlt es oft an den nötigen Kompetenzen, um diese auch zu liefern.

Wie sieht denn diese neue Form von Führung aus?

Führung ist in Teams eher als Funktion zu begreifen und ist nicht an Positionen gebunden. Idealerweise findet ein hohes Mass an Reife und Selbstführung statt, gewachsen durch die Aufgabenteilung, die sich nach Kompetenzen im Team richtet. Je mehr Mitarbeitende diese Eigenschaften entwickeln, desto schneller gelingt es auch, in neuen Konstellationen ganz selbstverständlich eine gute Beziehungsebene aufzubauen.

Zum Schluss noch ein paar Tipps für mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz?

Wir sind alle stark durch ein mechanistisches Weltbild geprägt, das uns Menschen wie Maschinen sehen lässt. Die Fortschritte der künstlichen Intelligenz fordern uns stark heraus, unsere ureigenen Qualitäten als Menschen wieder zu entdecken. Wir können nie die besseren Maschinen sein ‒ diesen Wettkampf verlieren wir. Aber wir können die besseren Menschen sein. Wenn ich das im Blick habe, verändert das meine Haltung und damit auch meinen Umgang ‒ mit mir selbst und mit den Mitarbeitenden.


Vivian Dittmar ist Autorin mehrerer Bucherfolge und Beraterin beim Terra Institute, einem Think and Do Tank für zukunftsfähiges Wirtschaften. viviandittmar.net, terra-institute.eu

Das Gespräch führte Rolf Butz, Geschäftsführer des Kaufmännischen Verbandes Zürich.

 

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