Der schillingreport erhebt seit 2006 die Daten zur Zusammensetzung der Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte der rund 100 grössten Schweizer Arbeitgeber. Wir haben Guido Schilling, Executive Searcher mit Leib und Seele und Herausgeber des jährlich erscheinenden schillingreports, zum Interview getroffen.
Herr Schilling, wie steht es in der Schweiz um die Gender-Diversity?
Im europäischen Vergleich hat die Schweiz grossen Nachholbedarf. Bei den Verwaltungsräten liegt sie mit 21 Prozent Frauenanteil klar hinter Spitzenreiter Frankreich (44%), aber auch hinter Deutschland (34%), das 2016 eine 30-Prozent-Quote eingeführt hat. Dass es auch ohne Quote geht, beweisen Schweden (36%) und Finnland (35%). In diesen Ländern ist die Gleichstellung von Mann und Frau längst Realität.
Nach rückläufigen Zahlen im letzten Jahr steigen die Frauenanteile in den Geschäftsleitungen 2019 wieder. Ist die Kehrtwende geschafft?
Vor zwei Jahren war ich voller Hoffnung, 2018 folgte die Ernüchterung: Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen sank von acht auf sieben Prozent. Dieses Jahr erreichte er mit neun Prozent einen neuen Höchstwert. Einerseits freut es mich, dass sich der Frauenanteil seit 2006 mehr als verdoppelt hat. Andererseits scheint es, als gehe es jeweils zwei Schritte vorwärts, dann wieder einen zurück. Ein ausgewogener Gender-Mix in den Geschäftsleitungen bleibt ein Generationenprojekt.
Der öffentliche Sektor beschäftigt mehr Frauen im Management als die Privatwirtschaft. Woran liegt das?
Der öffentliche Sektor hat längst erkannt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie der Schlüssel zu einer ausgewogenen Gender-Diversity ist. Zeitgemässe Arbeitszeitmodelle sowie weniger Unregelmässigkeiten und kurzfristige Auslandsreisen tragen zur besseren Planbarkeit und damit Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Nach wie vor schliessen in der Schweiz viele Frauen ihr Studium an der Philosophischen Fakultät ab. Ihnen bietet die öffentliche Verwaltung stärker als die Privatwirtschaft die Möglichkeit, auch im Core-Business Führungsaufgaben zu übernehmen. Damit legt sie den Grundstein für eine ausgewogene Gender-Diversity im Topmanagement.
Woran liegt es, dass Frauen in der Geschäftsleitung häufig Service-Rollen ausüben?
Die Rollen in Supporteinheiten entsprechen Frauen inhaltlich oft besser als im Core-Business. Zudem bieten sie bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ‒ und weil Frauen ihre Karriere oftmals nicht planen, sondern sich in den Dienst des gesamten Unternehmens stellen ‒ sind Gründe für ihren Einstieg und Verbleib in Servicefunktionen. Vorgesetzte und ihre Mitarbeiterinnen sollten stärker darauf achten, dass Frauen gezielt Aufgaben im Core-Business übernehmen und so bis in die Geschäftsleitung vorstossen können.
„Unternehmen sind heute viel offener für Anliegen zur Vereinbarkeit von
Beruf und Familie, da sie ihre besten Talente nicht verlieren wollen.“
Was müssen Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft ändern, dass dieser Vorstoss gelingt?
Es erfordert ein besseres Zusammenspiel aller Ebenen: Von der öffentlichen Hand braucht es die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize wie die vom Parlament beschlossene Erhöhung der Steuerabzüge für die externe Kinderbetreuung. Die Gemeinden sind gefordert, Tagesschulen, Horts und Krippen bereitzustellen. Von den Unternehmen sind zeitgemässe und flexible Arbeitsmodelle gefragt, damit Mitarbeitende Karriere und Familie unter einen Hut bringen. Und die Gesellschaft sollte erwerbstätigen Müttern und kinderbetreuenden Vätern mehr Anerkennung zollen.
Was können Frauen, Männer und konkret Väter selber beitragen, damit der Kurswechsel gelingt?
Um traditionelle Rollenbilder der Gesellschaft zu verändern, sollten Väter und Mütter ihre Verantwortung wahrnehmen und ihre Bedürfnisse gegenüber ihren Arbeitgebern artikulieren. Für gute partnerschaftliche Lösungen müssen sie ihre Bedürfnisse in Einklang bringen. Unternehmen sind heute viel offener für Anliegen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, da sie ihre besten Talente nicht verlieren wollen.
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