Donatella Winkler bricht ihre Zelte in der Schweiz ab und wandert mit Ihrem Mann nach Uruguay aus. Während einigen Jahren ist sie als Ehefrau eines Expats «tätig». Schliesslich ist es ein Schicksalsschlag in der Familie der sie zu ihrem neuen Beruf führt.
Nach der Sekundarschule hatte ich keine Ahnung, welche Berufsrichtung ich einschlagen sollte. Da meine Cousins in Italien alle studierten, entschied ich mich für die Handelsschule. Ausserdem wollte ich, dass meine Eltern stolz auf mich sind. 1986 bin ich mit meinem Mann nach Uruguay ausgewandert. Dort fand ich jedoch keine Anstellung. Da mein Mann geschäftlich in ganz Südamerika unterwegs war, habe ich ihn auf alle Reisen begleitet. Tagsüber lernte ich die Gegend kennen, abends gingen wir an Cocktailpartys. Meine Aufgabe als Ehefrau eines Bankdirektors war es, mich mit den anderen Ehefrauen über die Angestellten, Fingernägel und Frisuren zu unterhalten. Das war nicht mein Ding, aber ich tat es meinem Mann zuliebe.
Anspruchsvolle Jahre.
Nach der Geburt unseres schwerstbehinderten Sohnes habe ich keine geeigneten Therapien für ihn gefunden. Während sieben Jahren bin ich zweimal jährlich mit ihm nach Philadelphia geflogen, wo er eine auf ihn angepasste Therapie erhielt. Diese stellte ich zuhause in Montevideo meinem Team (2 Physiotherapeutinnen, 2 Psychologen, 1 Gestalttherapeutin, 4 Quereinsteigerinnen) vor. Die Therapie nahm 10 Stunden täglich in Anspruch. Wir arbeiteten in 5-Stunden Schichten, 7 Tage die Woche. Ich habe immer beide Schichten und jeden Tag während 7 Jahren ununterbrochen gearbeitet.
Wechsel in die soziale Arbeit.
2011 sind wir in die Schweiz zurückgekehrt. In der Bankenbranche ‒ meinem ursprünglichen Berufsfeld ‒ konnte ich keinen passenden Job finden. Das lag vor allem an meinem Alter und daran, dass ich so lange nicht mehr gearbeitet hatte. Nach den Absagen fragte ich mich: Was kann ich gut? Mit Menschen umgehen. Und ich habe viel Erfahrung mit Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen. So rief ich den Leiter des Heimes an, in dem mein Sohn wohnte, und erklärte meine Situation. Er hat mir die Chance gegeben, in einer Zweigstelle als Betreuerin quereinzusteigen. Mit 55 Jahren entschloss ich mich für eine Ausbildung zur Sozialpädagogin. Ich liebe Herausforderungen und verlasse gerne die Komfortzone. Ich habe mir gesagt: Eine dreijährige Ausbildung kann unter keinen Umständen herausfordernder sein als meine bisherige Leistung als Mutter.
Unterstützung aus der Familie.
Mein Mann war stolz auf meine Entscheidung. Meine Chefin sowie das ganze Team haben mich immer unterstützt, ebenso meine Schwester und meine Tochter. Skeptisch hingegen waren meine Eltern und Schwiegereltern. Sie meinten, ich könne die Zeit bis zur Pensionierung doch einfach geniessen. Aber ihre Einwände stiessen bei mir auf taube Ohren. Meine Entscheidung war getroffen. In der Schweiz haben wir das Glück, dass jeder Mensch in jedem Alter die Möglichkeit hat, sich weiterzubilden. Diese Ressource sollten wir nutzen.
Veränderungen sind niemals einfach.
Nur wir selber können etwas zu unserem Glück beitragen. Wir verbringen mehr als die Hälfte unseres Lebens bei der Arbeit. Wir sollten schauen, dass wir uns dort wohlfühlen und eine gewisse Leidenschaft dafür mitbringen. Mir hat es geholfen, nicht zu lange über mögliche Konsequenzen meiner Entscheidung nachzudenken. Sicher, Zeit hatte ich sehr wenig während der drei Ausbildungsjahre. Doch die Energie habe ich aus dem Umfeld geschöpft ‒ und aus meiner felsenfesten Überzeugung, dass ich es schaffen werde.
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