Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten viele Arbeitnehmende zumindest zeitweise im Homeoffice. Das flexible Arbeiten wurde rasch zur Normalität – mit der Folge, dass Berufs- und Privatleben immer mehr fliessend ineinander übergehen. Während diese Art des Arbeitens den einen entgegen kommt, stehen andere vor der grossen Frage, wie sie künftig gesunde Grenzen zwischen Arbeit und privat ziehen können.
Und hier kommt der Begriff «Boundary Management» ins Spiel. Anders als beim «Work-Life-Balance-Konzept», geht dieser Ansatz von einer ganzheitlichen Betrachtungsweise aller Lebensbereiche aus. Sprich: man trennt Arbeits- und Privatleben nicht per se von einander, sondern ist sich bewusst, dass sämtliche Lebensbereiche miteinander verknüpft sind. Wer nur lebt, wenn er nicht arbeitet, sollte dringend etwas ändern. Dennoch nimmt jeder von uns diese Verflechtungen – abhängig vom jeweiligen «Boundary-Typ» – anders wahr. Schauen wir uns die drei Boundary-Typen doch einmal genauer an.
Welcher Boundary-Typ sind Sie?
Segmentierer*in
Mag reguläre Arbeitszeiten
Braucht Struktur
Trennt Arbeit/privat strikt
Ist ausserhalb der Arbeitszeiten immer offline.
Mischtyp
Tendenziell lieber geregelte Arbeitszeiten
Braucht teilweise Struktur
Mal segmentativer, mal integrativer Umgang mit Trennung von Arbeit/privat
Zu Erholungszeiten offline – für Wichtiges erreichbar
Integrierer*in
Arbeitet dort und dann, wann es Sinn macht
Braucht wenig Struktur
Integriert Arbeit/privat
Spontane Erholungszeiten – selten ganz offline
Sobald Sie diese Frage beantwortet haben, können Sie sich daran machen, individuelle Boundary Taktiken und Strategien zurecht zu legen.
Typenspezifische Herausforderungen im Homeoffice
Bei qualitativen Befragungen im Rahmen ihrer Master Thesis konnte Fachexpertin Leila Gisin für die unterschiedlichen Boundary-Typen unter anderem folgende Herausforderungen feststellen.
Segmentierer*in | Mischtyp | Integrierer*in |
Fühlt sich unproduktiver als im Büro. | Muss situativ Grenzen immer wieder neu setzen und kommunizieren, was sehr anstrengend sein kann. | Schwierig, wenn Integration nur einseitig umsetzbar (Berufliches in Privates, aber nicht umgekehrt) z.B. Arbeit während Kinderbetreuung |
Gestaltet Arbeitstag genau wie im Office – kann deshalb Vorteile des Homeoffice nicht erkennen/nutzen. | Probleme bei unterschiedlicher Gewichtung von Dringlichkeit und Wichtigkeit | Monitoring der effektiven Arbeitszeit erschwert. |
Gefühl, zu wenig zu arbeiten (im Vergleich zu Integrierer und Mischtyp) | Abgrenzungsbemühungen (Boundary Violations) werden vom Umfeld nicht ernst genommen. | Grösseres Ablenkungs-potenzial, insbesondere bei ungeliebten Aufgaben |
Muss sich neue Rituale zurechtlegen. | Tut sich schwer damit, über eigene Boundary Taktiken zu reflektieren. | Umgang mit anderen Boundary-Typen |
Boundary Taktiken und Tipps
Genauso individuell wie Sie, sind auch Ihre Taktiken, wie Sie sich erfolgreich abgrenzen. Ein Patentrezept gibt es leider nicht. «Boundary Management» ist ein Prozess und da die meisten Menschen Mischtypen sind, entscheiden sie sehr situativ. Dies bringt die Herausforderung mit sich, dass Grenzen immer wieder neu gefunden und kommuniziert werden müssen. Gemäss Fachexpertin Leila Gisin von der Hochschule für Wirtschaft Luzern sind folgende Schritte ein guter Anfang.
Schritt für Schritt zur eigenen Taktik
- Sich selbst reflektieren – was brauche ich?
- Über Boundary Management sprechen – im Team/in der Familie
- Eigene Strategien entwickeln – auch im Austausch mit dem Umfeld
6 persönliche Tipps des kfmv Zürich Teams
Den ultimativen Tipp können auch wir Ihnen nicht mit auf den Weg geben. Stattdessen teilen wir gerne unsere eigenen Erfahrungen mit Ihnen. Und wer weiss, vielleicht ist sogar die eine oder andere Taktik dabei, die Sie demnächst in Ihr Boundary Management integrieren können.
Tipp #1 | Martina Kosir, Event Manager, Boundary-Typ: Mischtyp
Ich lege ganz bewusst «handyfreie» Tage ein. Dabei geht es mir nicht primär um die Abgrenzung zur Arbeit, sondern um ungestörte «Quality Time» mit meiner Familie.
Tipp #2 | Daniela Wernli, Verantwortliche Jugendstelle, Boundary-Typ: Mischtyp
Bewusst Aktivitäten am Feierabend einplanen. Sei es ein Spaziergang, Sport, eine Freundin treffen oder einfach nur einen Film schauen. Ich setze mir «Freizeit-Termine», die auch im Kalender eingetragen werden und mich daran erinnern. Das hilft mir, pünktlich Feierabend zu machen. Nach dieser Aktivität bin ich meistens schon so im Feierabend-Modus, dass ich gar nicht mehr ans Arbeiten denke. 🙂
Tipp # 3 | Maria Hagedorn, Leiterin Marketing & Kommunikation, Boundary-Typ: Mischtyp mit Tendenz zu Integration
Mein Boundary Management gelingt mir bisher ganz gut. Dabei hilft mir die Fähigkeit, gut in mich reinhören und mich selber reflektieren zu können. Dadurch spüre ich, was oder wer mir Energie nimmt respektive Energie gibt. Mein Tipp deshalb: Boundary Management beginnt bei dir. Lerne dich kennen. Beobachte dich in den verschiedensten Situationen und versuche zu spüren, was dir gut tut und was nicht. Zieh daraus deine Schlüsse und plane deinen Tag, deine Woche entsprechend.
Tipp # 4 | Laura Zumstein, Communications Manager, Boundary-Typ: Mischtyp
Teilzeit + Homeoffice + Kleinkind = Chaos. Damit die Rechnung nicht tatsächlich im Chaos endet, ist ein konsequentes Boundary Management sehr wichtig. Konkret hilft es mir, wenn ich nach dem Feierabend und an meinen freien Tagen meine geschäftliche Mailbox auf meinen privaten Devices deaktiviere.
Tipp #5 | Sabrina Kindschi, Communications Manager, Boundary-Typ: Mischtyp
Genau wie meine Kollegin Daniela trage ich Freizeitaktivitäten als private Termine in meinen Outlook-Kalender ein. Ob Sportsessions, Treffen oder Calls mit Freunden, Ausflüge oder das «Frische-Luft -Tanken» über Mittag – diese Boundaries sind mir wichtig. Oft plane ich die Termine oder Zeitfenster bereits zu Beginn der Woche, damit sie nicht vergessen gehen. Aber zugegeben, wenn bei der Arbeit etwas eine gewisse Dringlichkeit hat, erwische ich mich schon dabei, wie ich mich über meine eigenen Grenzen hinwegsetze. Da helfen wohl nur bewusste Selbstreflexion und etwas Übung darin, auch mal «Nein» sagen zu können. 😉
Tipp #6 | Daniel Tiboldi, Leiter Recht & Bildung, Boundary-Typ: Integrierer
Mein Tipp: Genuss-Rituale und arbeitsfreie Wochenenden. Weshalb: Arbeit und Team, die Freude machen, sind ein Lebenselixier. Heitere Kaffeepausen und persönlicher Austausch mit Kolleginnen und Kollegen tragen zu meiner Gesundheit bei. Anerkennung für Gelungenes als Geschenk erleben – dankbar sein für die Fülle und Vielfalt.
Sharing is caring
Fassen wir zusammen: Boundary Management beginnt für jede*n von uns in erster Linie bei sich selbst. Deshalb sind auch die angewandten Taktiken so individuell wie wir Menschen. Jede*r muss für sich selbst herausfinden, was für sie/ihn in welcher Situation passt. Was uns dabei unterstützen kann, ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, im Freundeskreis und in der Familie.
Deshalb: Verraten Sie uns Ihre persönlichen Boundary Taktiken?
Nutzen Sie dafür das Kommentarfeld.
Quellen
Digital Smart Monday vom 29. März 2021
Referat von Leila Gisin, Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologin sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Hochschule Luzern
Master Thesis von Leila Gisin
«Boundary-Typen, Boundary Management und Boundary Taktiken im Home Office»
Link zur Thesis
Photo Credits
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Cheetah: Photo by sutirta budiman on Unsplash
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