Das Wort «Workism» ha­ben wir dem ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten De­rek Thomp­son zu ver­dan­ken, der im «At­lan­tic» die­sen Be­griff zum ers­ten Mal ver­wen­det hat und dazu schreibt, dass un­se­re Iden­ti­tät be­stimmt wird von un­se­rer Ar­beit und nicht mehr durch un­se­re So­zia­li­sa­ti­on, un­se­re Be­zie­hun­gen, un­se­re Hob­bys oder Lei­den­schaf­ten. Ar­beit sei nicht mehr wei­ter eine Not­wen­dig­keit, sie sei Kern un­se­rer Iden­ti­tät ge­wor­den. Nina Kunz, His­to­ri­ke­rin, Jour­na­lis­tin und Ko­lum­nis­tin des Jah­res 2020 hat sich in­ten­siv mit der Be­deu­tung von Workism aus­ein­an­der­ge­setzt. Der nach­fol­gen­de Text ist ein Aus­zug aus dem Buch «Ich denk, ich denk zu viel», das die­sen Früh­ling im Ver­lag Kein & Aber er­schie­nen ist.

Manchmal lerne ich ein neues Wort und denke: Wie habe ich je ohne dieses Wort leben können? Gerade ist das «Workism».

Workism be­schreibt näm­lich et­was, das mir schon län­ger Sor­gen macht: Es ist der Glau­be, dass Ar­beit nicht mehr eine Not­wen­dig­keit dar­stellt, son­dern den Kern der ei­ge­nen Iden­ti­tät. Ge­prägt wur­de der Be­griff vom Jour­na­lis­ten De­rek Thomp­son, der letz­tes Jahr in der Zeit­schrift The At­lan­tic dar­über schrieb, dass im­mer mehr Leu­te ihre Er­fül­lung in der Ar­beit su­chen. Als ich den Text las, dach­te ich nach je­dem Satz: Oh, das ma­che ich auch. Denn ge­nau wie Thomp­son es be­schreibt, bin ich mit dem Ide­al auf­ge­wach­sen, dass es ein zen­tra­les Ziel im Le­ben sein soll, ei­nen Job zu fin­den, der we­ni­ger Lohn­ar­beit ist als viel­mehr Selbst­ver­wirk­li­chung. Dar­um woll­te ich Jour­na­lis­tin wer­den, und dar­um habe ich heu­te kei­ne Schreib-, son­dern Le­bens­kri­sen, wenn ich im Job ver­sa­ge.

Be­son­ders fas­zi­nie­rend an die­sem Ar­ti­kel fand ich, dass die be­deu­tends­ten Öko­no­men des 20. Jahr­hun­derts, wie etwa John May­nard Keynes, schon vor acht­zig Jah­ren pro­phe­zei­ten, dass das Zeit­al­ter der Selbst­ver­wirk­li­chung kom­men wer­de ‒ nur eben ganz an­ders. Sie glaub­ten, dass die Au­to­ma­ti­sie­rung der Ar­beit so viel Frei­zeit schaf­fen wer­de, dass die Men­schen ih­ren Fo­kus auf Hob­bys und Freund*in­nen ver­le­gen könn­ten. Aber statt­des­sen ist be­deut­sa­me Ar­beit zum Fe­tisch ge­wor­den, weil ei­ni­ge Workaho­lics (vor al­lem im Si­li­con Val­ley) ih­ren Job zu ei­ner «Be­ru­fung» hoch­sti­li­siert ha­ben.

NINA KUNZ ist His­to­ri­ke­rin, Jour­na­lis­tin und Ko­lum­nis­tin des Jah­res 2020. Der Text ist ein Aus­zug aus dem Buch «Ich denk, ich denk zu viel», das die­sen Früh­ling im Ver­lag Kein & Aber er­schie­nen ist.

Laut Thomp­son wur­de so ein Ide­al ge­schaf­fen, das nun auf al­len Ebe­nen der Ge­sell­schaft zu Bur­nouts und Ängs­ten führt. Denn: Die Ge­win­ner des Sys­tems (Ar­chi­tekt*in­nen, Star­t­up-Grün­der*in­nen…) ar­bei­ten bis zum Um­fal­len, wäh­rend alle an­de­ren als «Ver­lie­rer*in­nen» da­ste­hen, weil sie kei­nen die­ser ra­ren Selbst­ver­wirk­li­chungs­jobs er­gat­tern. Aber es gibt auch Gu­tes am Kon­zept von Workism. Oder zu­min­dest war ich froh, end­lich ei­nen Be­griff zu ha­ben, der mir zeigt, bei was für ei­nem Wahn­sinn ich da ei­gent­lich mit­ma­che. Das Wort funk­tio­niert wie ein Spie­gel für das ei­ge­ne Tun. Ich fühl­te mich bei der Lek­tü­re des Tex­tes ja nur so er­tappt, weil ich ver­stand, was hin­ter mei­nem Selbst­ver­wirk­li­chungs­drang steckt.

Laut Thomp­son wur­de so ein Ide­al ge­schaf­fen, das nun auf al­len Ebe­nen der Ge­sell­schaft zu Bur­nouts und Ängs­ten führt. Denn: Die Ge­win­ner des Sys­tems (Ar­chi­tekt*in­nen, Star­t­up-Grün­der*in­nen…) ar­bei­ten bis zum Um­fal­len, wäh­rend alle an­de­ren als «Ver­lie­rer*in­nen» da­ste­hen, weil sie kei­nen die­ser ra­ren Selbst­ver­wirk­li­chungs­jobs er­gat­tern. Aber es gibt auch Gu­tes am Kon­zept von Workism. Oder zu­min­dest war ich froh, end­lich ei­nen Be­griff zu ha­ben, der mir zeigt, bei was für ei­nem Wahn­sinn ich da ei­gent­lich mit­ma­che. Das Wort funk­tio­niert wie ein Spie­gel für das ei­ge­ne Tun. Ich fühl­te mich bei der Lek­tü­re des Tex­tes ja nur so er­tappt, weil ich ver­stand, was hin­ter mei­nem Selbst­ver­wirk­li­chungs­drang steckt.

Ich habe mir für die­ses Jahr et­was vor­ge­nom­men. Ich möch­te dem Mo­dell von Workism et­was ent­ge­gen­hal­ten und die An­tei­le mei­ner Iden­ti­tät mehr wür­di­gen, die nichts mit dem Job zu tun ha­ben.

Vor al­lem, wenn ich das nächs­te Mal ver­zweif­le, weil et­was mit ei­nem Text nicht klappt, will ich mir in Er­in­ne­rung ru­fen, was ich noch bin ‒ aus­ser Jour­na­lis­tin. Und das ist ei­ni­ges. Ich bin zum Bei­spiel die mit der bes­ten Gross­mut­ter der Welt, ich bin die Grüb­le­rin, die seit fünf­zehn Jah­ren die glei­chen Pulp-Plat­ten hört, ich bin die Frau, de­ren Woh­nung aus­sieht wie eine Alt­pa­pier­samm­lung, ich bin die Freun­din, die im­mer ein biss­chen zu fest liebt, und vor al­lem bin ich das ewi­ge Kind, das vor Freu­de aus­flippt, wenn es eine Kat­ze sieht.