Die Büroangestellte, die ihr eigenes Café eröffnet oder der Arzt, der Lastwagenfahrer wird – solch grundlegende Neuorientierungen sind noch eher die Ausnahme. Doch dass man sich im Laufe eines langen Lebens beruflich ab und an neu ausrichtet, wird häufiger. Weil man will oder weil man muss – oder aufgrund einer Mischung aus beidem.

Manche Zukunftsforscher:innen gehen davon aus, dass wir künftig in Richtung 60 Jahre Lebensarbeitszeit gehen und im Schnitt alle fünf Jahre eine neue Tätigkeit ausüben ‒ hört sich anstrengend an, finde ich. Aber wenn wir uns auf politischer Ebene entscheiden, Neuorientierungen und Phasen der Erholung und des Lernens ohne Existenzängste zu ermöglichen, warum nicht?

Was sind die häufigsten Gründe, einen neuen Beruf zu ergreifen?

  • Fehlende Leidenschaft im Beruf
  • Einen Teil ihrer Fähigkeiten nicht genutzt oder weiterentwickelt werden kann
  • Die Arbeit wird als sehr fremdbestimmt wahrgenommen
  • Es herrscht keine gute Stimmung im Team
  • Sehr volatile Organisation mit häufigen (drohenden) Umstrukturierungen
  • Manche erinnern sich an ihren ursprünglichen Traumberuf oder entwickeln ganz neue Ideen

Wie soll man vorgehen, wenn man seinen Traum vom eigenen Business verwirklichen will?

Am Anfang steht die Frage: Was passt wirklich zu mir? Wichtig ist, nicht nur dem Bauchgefühl zu folgen, sondern sich gründlich mit den eigenen Fähigkeiten und Ressourcen, aber auch Defiziten auseinanderzusetzen. Und das private Umfeld von Anfang an in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Denn ohne deren Unterstützung wird es schwierig.

Wer sich selbstständig macht, muss sich zeitweise auf 12-Stunden-Tage sowie eine finanzielle Durststrecke einstellen. Neben der Entwicklung des Geschäfts und dem Gewinnen von Kundschaft ist auch der administrative Aufwand nicht zu unterschätzen: Man muss sich plötzlich um die
Buchhaltung, Versicherungen, Bewilligungen etc. kümmern. Daher ist ein agiles Vorgehen praktisch und risikoärmer: Schritt für Schritt, damit man Fehler möglichst früh macht und die Kundschaft immer mit ins Boot nehmen, um rechtzeitig justieren zu können. Unbedingt sollte man das neue Berufsfeld von innen anschauen, bevor man das alte vollends aufgibt.

Plant man zum Beispiel, ein Café zu eröffnen, wäre es ratsam, in den Ferien ein paar Wochen in einem Café zu arbeiten und zu schauen, ob der Alltag wirklich den Vorstellungen entspricht. Zudem macht es Sinn, mit Personen zu sprechen, die einen ähnlichen Weg gegangen sind. Im Life Design nennen wir das «Annahmen überprüfen».

Was, wenn man zu einer beruflichen Veränderung gezwungen wird?

Dazu kommt es, wenn es den Beruf in wenigen Jahren in dieser Form gar nicht mehr geben wird. Idealerweise gestaltet man heute schon den Prozess mit und baut sein Tätigkeitsfeld so um, dass ein abgewandelter Beruf daraus wird. Nicht immer realistisch, aber vielleicht öfter, als man denkt. Man nennt das Job Crafting: mehr aus seinem Job machen. Wenn wir Veränderungen im Kleinen suchen, rutschen wir auch leichter durch die grossen.

«Job Crafting heisst: mehr aus seinem Job machen. Wenn wir Veränderungen im Kleinen suchen,
rutschen wir auch leichter durch die grossen.»

Woran scheitern Umorientierungen am häufigsten?

Es gibt viele Gründe fürs Nichtgelingen, je nach Art des Umstiegs. Aber die Erfahrung zeigt, dass viele Erwerbstätige in der zweiten Lebenshälfte ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben und teilweise auch Lohnvorstellungen, die eine Neuorientierung oder einen Quereinstieg erschweren. Denn natürlich verdient man nach einem Neustart meistens erstmal weniger. Gleichzeitig kann neben einer Finanzplanung die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und der Frage «Was ist mir wichtig?» auch zur Erkenntnis führen, dass man gerne auf ein bisschen Sicherheit verzichtet, um wieder mehr Erfüllung in der Arbeit zu finden.