LOUISA ERISMANN als Privatperson. Ist sie als Privatdetektivin unterwegs, kann sie sich nach eigener Aussage mit Perücke und Verkleidungen sogar in einen jungen Mann verwandeln.

Sie führen als einzige Frau in der Schweiz eine Detektei. Haben Sie bereits in Kindertagen Miss Marple, Sherlock Holmes oder Emil und die Detektive verschlungen?

Ich konnte schon sehr früh lesen und stillte so meinen Wissensdurst. Das Thema «Recht und Gerechtigkeit» begleitet mich durch mein Leben, weshalb ich mich schon immer für Schwächere eingesetzt habe. Ausserdem bin ich neugierig. Schon als Kind wollte ich alles aufdecken: Als die Kirchglocken im Dorf ein paar Tage lang nicht wie gewohnt läuteten, stieg ich auf den Kirchturm, um herauszufinden, was dahintersteckt. Im Wald habe ich versteckte Fuchsbauten aufgespürt, und in der Kanalisation forschte ich nach möglichem Leben, weshalb ich manchmal zu spät in die Schule kam.

Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?

Auf verschlungenen Wegen. Nach der Bäuerinnenschule arbeitete ich im Service. Es folgten ein Sprachjahr in London, eine Ausbildung zur Fotografin, die Handelsschule, Lehrmeisterprüfung sowie laufend Weiterbildungen, vor allem in Film und Fotografie. Lange führte ich mit meinem Exmann gemeinsam ein Foto- und Optikgeschäft. Nach der Scheidung musste ich mich neu orientieren und arbeitete für einen Konzern im Aussendienst. Der Kundenkontakt und das internationale Umfeld haben mir sehr entsprochen. Nach der Pensionierung wollte ich unbedingt weiterarbeiten. Und so bin ich an einem Sonntagmorgen aufgewacht und wusste: Ich mache die Detektiv-Schule und gleichzeitig eine Coaching-Ausbildung. Die beiden Berufe ergänzen sich ideal. Jetzt bin ich seit mehreren Jahren erfolgreich im Geschäft.

Eine Frau als Detektivin ist eher ungewöhnlich. Gab es da Hürden zu nehmen?

Die Ausbildung war eine grosse Herausforderung. Rund 20 verschiedene Fächer, dazu kam eine Schiessausbildung für Pistolen. Zu Beginn waren wir etwa gleich viel Frauen wie Männer, aber im Laufe der Ausbildung nahmen die Teilnehmerinnen ab. Dass ich im Pensionsalter war, hat niemanden gestört. Ich erhielt grosse Unterstützung von der Schule. Meine Begeisterung für diese neue Herausforderung war spürbar. Eine essenzielle Voraussetzung dafür, um etwas zu erreichen.

Welche Erfahrungen aus Ihren früheren Berufen haben Ihnen im jetzigen Job geholfen?

In meiner verschlungenen Laufbahn habe ich mir viele Fähigkeiten angeeignet, die ich nun sehr gut gebrauchen kann: Im Service lernte ich hart zu arbeiten, der Kundenkontakt hat mein Gespür für Menschen geschärft und die Kamera ist für mich als gelernte Fotografin ein vertrautes Werkzeug. Meine Lebens- und Berufserfahrung ist allgemein ein unbezahlbarer Fundus, aus dem ich schöpfen kann.

Was braucht es, um in einem neuen Beruf Fuss zu fassen?

Mut, einen starken Willen und Durchhaltevermögen. Spürt man das nicht, ist man noch nicht so weit. Und ganz wichtig: Die Entscheidung für einen Berufswechsel muss man allein fällen. Wenn ich damals mit meinem Freundeskreis oder der Familie darüber geredet hätte, hätten mir alle abgeraten.

Ihr Rat an Menschen, die einen unkonventionellen beruflichen Neustart wagen wollen?

Das Wichtigste ist der Glaube an sich selbst. Und das Bewusstsein: Menschen, die aus der Reihe tanzen, kommen weiter! Oft höre ich, dass es sehr schwierig ist, nach der Pensionierung noch einen Job zu bekommen. Ich finde, spätestens in diesem Alter muss man so weit sein, sich selbst zu fordern und zu fördern.

Welche Eigenschaften sind entscheidend, um in einem neuen
Beruf erfolgreich zu sein?

Es benötigt Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, viel zu leisten und auf Vieles zu verzichten. Und die Überzeugung, die richtige Wahl getroffen zu haben. Ich habe seit zehn Jahren keine Ferien mehr gemacht, weil das Geld in meinem Geschäft steckt. Reich werde ich nicht, aber ich investiere damit in meine Zukunft: Meine Arbeit macht mich glücklich, was sich positiv auf meine mentale und körperliche Gesundheit auswirkt. Ein Gewinn auf allen Ebenen.

Wie wichtig sind Netzwerke und Kontakte beim Berufswechsel?

Sehr wichtig. Ich habe viel Zeit in meine Website gesteckt, Inserate gestaltet, wurde vorstellig bei Versicherungen und Anwaltskanzleien. Beim Berufsverband der Schweizer Privatdetektive war ich auch kurz, bis ich feststellte: Die wollen keine Frauen in ihren Reihen! Der Aufwand war gross, nun aber tragen meine anfänglichen Anstrengungen und Bemühungen Früchte: Die Mund-zu-Mund-Propaganda beschert mir laufend Aufträge.

Die Balance zwischen Leidenschaft und finanzieller Sicherheit zu finden, ist nicht einfach. Wie gelingt’s?

Für viele ist Sicherheit sehr wichtig, deshalb stecken sie ihre Wünsche zurück. Ich glaubte immer daran, dass ich es schaffe, meinen Traum zu verwirklichen. Auch wenn es schwierig war. Wer an sich glaubt, kann Berge versetzen.

Wenn Sie nochmals neu anfangen könnten, welcher Beruf würde Sie noch reizen?

Anwältin oder Richterin. Die Gesetzesbücher liegen auf meinem Nachttisch, ich schmökere gern
darin. Als Anwältin muss man auch recherchieren, sich einlesen, seine Intuition und den Verstand nutzen. Und es geht um Recht und Gerechtigkeit ‒ wie bei meinem jetzigen Beruf als Detektivin.