In der Arbeitswelt wird ein angeblicher Wertezerfall beklagt: Die Jungen hielten nicht mehr viel von Leistung, Disziplin und Erfolg. Wächst eine Generation von Faulenzer:innen und Hedonisten heran? Im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Arbeit habe ich dazu Gespräche geführt. Die Ergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild: Die Jungen sind nicht faul. Sie haben dieselben Werte wie frühere Generationen, gewichten diese aber anders.

Werte: Zeitlos und doch wandelbar

Rufen wir uns in Erinnerung, was Werte sind: tief verankerte Überzeugungen, die unsere Entscheidungen und unser Handeln leiten. Im Arbeitskontext zeigen sie sich in Aspekten wie Leistungsbereitschaft, Teamgeist, Integrität oder auch Work-Life-Balance. Werte haben über Generationen hinweg Bestand, denn sie haben sich während der Evolution als vorteilhaft für das Überleben erwiesen. Aus demselben Grund finden sich in allen Kulturen dieselben Werte. Allerdings stehen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen manche Werte mehr, andere weniger im Vordergrund ‒ dann sprechen wir vom Wertewandel.

Sinnstiftende Arbeit versus Bullshit-Jobs

Verschiebungen zeigen sich auch in der Arbeit. Die Nachfrage nach Arbeitsplätzen, die Autonomie, Kreativität und Zusammenhalt fördern, steigt ‒ gerade auch im kaufmännischen Bereich, wo stark strukturierte Arbeitsabläufe durch flexiblere, projektbasierte Ansätze abgelöst werden. Auch der Wunsch nach sinnstiftender Arbeit, nach «Purpose», wie es im Neudeutschen heisst, gewinnt an Bedeutung. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass Unternehmen erfolgreicher sind, wenn Kundschaft und Mitarbeitende den Sinn hinter der Geschäftstätigkeit erkennen und sich damit identifizieren können. Mitarbeitende sind gesünder, Konsumentinnen und Konsumenten zufriedener.

Dazu passt die Klage über Bullshit-Jobs ‒ Tätigkeiten, die auch von jenen, die sie ausführen, als wenig sinnvoll empfunden werden. Diese Entwicklung, die leider auch im kaufmännischen Bereich vermehrt zu beobachten ist, stellt uns vor eine zentrale Herausforderung: Wie können wir Arbeitsplätze so gestalten, dass sie als wertvoll und bedeutsam erlebt werden?

Leistung ja, aber nicht um jeden Preis

Als Forschungsleiter einer auf berufs- und familienbegleitendes Studium spezialisierten Fachhochschule sehe ich täglich, wie junge Menschen Beruf, Ausbildung und oft auch Familie unter einen Hut bringen. Dies ist für mich ein klarer Beweis für ihre Wertschätzung von Arbeit und Leistung, aber auch für ihren Wunsch nach einem ausgewogenen Leben. Sie verkörpern damit genau jene Neuinterpretation zeitloser Werte, die unsere moderne Arbeitswelt prägt: Junge Menschen wollen durchaus Leistung erbringen und Erfolg haben, einfach nicht um jeden Preis. Sie streben nach einer Balance zwischen beruflichem Engagement und anderen Lebensbereichen wie Familie, Gesundheit und persönlicher Entwicklung.

Missverständnisse zwischen Generationen

Diese veränderte Gewichtung von Werten führt gelegentlich zu Missverständnissen zwischen den Generationen. Während Ältere Wert auf Loyalität und traditionelle Arbeitsethik legen, gewichten Jüngere Flexibilität und Work-Life-Balance höher. Die Herausforderung für Unternehmen und Gesellschaft besteht darin, Arbeitsumgebungen zu schaffen, die diesem Wertewandel gerecht werden. Arbeit kann und muss nicht immer Spass machen. Aber sie sollte sinnvoll sein, die Gesundheit nicht beeinträchtigen und Raum für andere Lebensbereiche lassen.

Der Wertewandel in der Arbeitswelt ist also weniger ein Zerfall als eine Neuinterpretation zeitloser Prinzipien. Werte wie Leistungsbereitschaft, Gemeinschaftssinn und der Wunsch nach Sinnhaftigkeit bleiben bestehen, werden aber in einem neuen Kontext gelebt. Diese Entwicklung birgt grosse Chancen für eine Arbeitswelt, die sowohl produktiv als auch menschlich erfüllend ist. Denn wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben.


Ausstellungstipp

Arbeit: Vom Wollen, Dürfen und Müssen

Berufung oder Bürde? Die Erwerbsarbeit kann sowohl eine Quelle der Erfüllung als auch der Belastung sein. Dabei beeinflusst sie nicht nur unser tägliches Wohlbefinden, sondern auch unsere Persönlichkeit, unsere Werte und unseren Lebensweg. Vögele Kulturzentrum, Pfäffikon, bis 21.9.2025. Zu den Ausstellungsdetails.